Zuck-Mücken in Trinkwasserleitungen?

Zuck-Mücken gehören sicher zu den ungewöhnlichsten Tieren in Trinkwassersystemen, zumal mit „Mücken“ meist die flugfähigen Stadien kleiner Insekten gemeint sind, die zur Gruppe der Zweiflügler (Dipteren) gehören. Viele Arten dieser Gruppe haben wasserlebende Larvenstadien, die beim Erwachsenwerden ein Puppenstadium durchlaufen, das einen Übergang zum Landleben ermöglicht. Aus den Puppen schlüpfen schließlich geschlechtsreife Tiere, die sich in einem Hochzeitsflug paaren und durch anschließende Produktion und Ablage von Eiern für ein Überleben der Art sorgen. In „geschlossenen Räumen“ wie z. Trinkwasserleitungen können diese Tiere eigentlich nicht überleben, da ein Übergang zum Landleben nicht möglich ist und der Hochzeitstanz somit ausfällt. Einige Arten umgehen diese prekäre Situation, indem das sich in der Puppe entwickelnde Weibchen noch in der Puppenhülle Eier mit bereits vollständigem Chromosomensatz produziert und ablegt. Diese Art der Fortpflanzung wird auch als Parthenogenese (Jungfernzeugung) bezeichnet. Die Zuckmücke Paratanytarsus grimmii hat sich mit dieser Strategie erfolgreich in Trinkwassernetzen verbreitet und kann mangels natürlicher Feinde hier große Individuendichten ausbilden. Die Größe der jeweiligen Lebensgemeinschaft wird u.a. durch das Nahrungsangebot und die Temperatur bestimmt. In Trinkwasserleitungen wurden bis zu 5 Generationen pro Jahr beobachtet.  mehr erfahren

Süßwasserpolypen im Trinkwasser – ein analytischer Krimi

In unserem Labor beschäftigen wir uns u.a. mit der Analyse wirbelloser Tiere in Trinkwassersystemen. Bei einigen dieser Trinkwasser-Untersuchungen konnten wir organisch anmutende Gebilde ausmachen (siehe Abb.1), die wir für Kolonien von Bryozoa (Moostierchen) hielten. Bestimmungsrelevante Details (wie z.B. sog. Statoblasten) waren nicht auszumachen, weshalb eine Artansprache unmöglich war. Um den Einschränkungen herkömmlicher Methoden der Artbestimmung zu entgehen, wandten wir uns an AIM mit der Bitte, die Art der Bryozoa mittels spezifischer Primer zu ermitteln.  Leider hat das nicht funktioniert. Ein zweiter Versuch wurde auf Anraten der Mitarbeiter von AIM weniger spezifisch gestartet und ein Metabarcoding durchgeführt. Das überraschende Ergebnis: es handelt sich bei den gesammelten Tieren um Craspedacusta sowerbii! Natürlich konnten die spezifischen Bryozoa-Primer hier nicht funktionieren.

Craspedacusta sowerbii kommt ursprünglich aus dem Jangtsekiang und ist mittlerweile auf fast allen Kontinenten verbreitet (2). In Trinkwasserleitungen hätten wir sie allerdings nicht erwartet. Sowohl Polyp als auch Meduse ernähren sich räuberisch von kleinen Krebsen und ggf. Oligochaeten (4), wodurch die Zooplankton-Gemeinschaft stark beeinflusst werden kann, besonders wenn Medusen vorhanden sind (2,4). Inwieweit das im Trinkwasser der Fall ist, muss noch untersucht werden.

Ab 21° C kommt es zur Abschnürung der Medusen (4), die sich zwischen 28 und 29° C sexuell fortpflanzen können (3). Das macht sie zu termophilen, stenothermen Tieren. Bei niedrigeren Temperaturen vermehren sie sich asexuell über Frustulae oder Knospung des Polypen. Sind die Temperaturen noch niedriger können Podocyten als Überdauerungsstadien gebildet werden (3). Zu einer Medusen-Blüte kommt es unter günstigen Bedingungen (hohes Nahrungsangebot und Temperaturen), sie dauert aber in der Regel nur ein paar Wochen. Im Zuge der Klimaveränderungen ist zu erwarten, dass diese Blüten häufiger und eventuell auch länger vorkommen (4).

Potenziell problematisch ist das Vorkommen dieser Neozoen in Trinkwasserleitungen eher in technischer Hinsicht; die Medusen, sollten sie denn massenhaft vorkommen, könnten Filteranlagen verstopfen. Da auch Trinkwasserleitungen vom Temperaturanstieg betroffen sind (5), wäre das gar nicht so unwahrscheinlich.

Molekularbiologische Methoden der Determination, wie sie von AIM durchgeführt werden, haben sich in diesem Fall als perfekte Alternative zur morphologischen Artbestimmung erwiesen. Besonders gilt das für Tiere, die durch die Fixierung bestimmungsrelevante Merkmale verlieren.

Quellen:

  1. P. Mundy, A Key to the British and European Freshwater Bryozoans, Freshwater biological association scientific publication No. 41, 1980
  2. Alllison S. Smith, James E. Alexander jr.; Potential effects of the freshwater jellyfish Craspedacusta sowerbii on zooplankton community abundance, Journal Of Plankton Research, Volume 30, Number 12,Pages 1323–1327,2008
  3. Marchessaux, J. Gadreaud, B. Belloni, The Freshwater Jellyfish Craspedacusta sowerbii Lankester, 1880: An Overview Of Ist Distribution In France, Vie et milieu – Life and environment, 69 (4): 201-213, 2019
  4. Lüskow, P.J. López-González, E. A. Pakhomov, Freshwater jellyfish in northern temperate lakes: Craspedacusta sowerbii in British Columbia, Canada, Aquatic Biology, Vol. 30: 69–84, 2021
  5. G. Gunkel, U. Michels, M. Scheideler, Folgen des Klimawandels in Wassernetzen – Zuckmückenlarven und Wasserasseln profitieren, GWF-Wasser, Vol. 12, p. 48-51, 2021

Wasserschnecken in Trinkwasserleitungen